Diese japanische Insel von 5,1 Millionen Einwohnern versteckt mehr Platz als ganz Deutschland

Auf dieser Insel der Stille stehe ich gerade, umgeben von endlosen Lavendelfeldern, während der Morgennebel über den Hügeln von Furano tanzt. Seit meiner Ankunft in Hokkaido hat mich eine Zahl nicht losgelassen: 64,5 Einwohner pro Quadratkilometer. In Japans größter Präfektur leben nur 5,1 Millionen Menschen auf einer Fläche von 83.424 Quadratkilometern – ein atemberaubender Kontrast zum Rest des Inselstaates. Nach zehn Jahren Reisejournalismus bin ich selten so überrascht worden: Hier in Nordjapan, nur 1.020 Kilometer von der überfüllten Hauptstadt Tokyo entfernt, existiert eine Parallelwelt der Weite und Stille.

Japans große Leere: Die überraschende Mathematik Hokkaidos

Hokkaido ist nicht nur die zweitgrößte Insel Japans – sie ist seine am dünnsten besiedelte Region. Mit nur 64,5 Einwohnern pro Quadratkilometer steht sie in dramatischem Kontrast zum japanischen Durchschnitt von 347 Einwohnern pro Quadratkilometer. Selbst Frankfurt (Oder) mit seinen beeindruckenden 89% Grünflächen wirkt urban im Vergleich zu Hokkaidos weitläufiger Naturlandschaft.

Anders als bei Japans heiligem Berg Fuji, wo Menschenmassen die Aussicht teilen müssen, bietet Hokkaido atemberaubende Szenerien ohne Warteschlangen. Die Ainu-Kultur, ursprüngliche Bewohner der Insel, hat hier ihre tiefsten Wurzeln, sichtbar im beeindruckenden Upopoy National Ainu Museum in Shiraoi, 50 Kilometer südöstlich von Sapporo.

Was mich besonders beeindruckt: In diesem Teil Japans, dem „Hokkai-do“ oder „Weg zum Nordmeer“, wie die Ainu es nennen, existieren aktive Vulkane, unberührte Seen und dampfende heiße Quellen in einer harmonischen Verbindung mit modernen Städten wie Sapporo, wo nur 1,9 Millionen Menschen leben – ein Bruchteil von Tokyos Bevölkerung.

Das japanische Alberta: Wie Hokkaido sich von klassischen Japan-Klischees unterscheidet

Hokkaido teilt mit Perth, Australiens isoliertester Metropole, das Gefühl der Abgeschiedenheit vom Hauptland. Die Region wird oft als „Japans Alberta“ bezeichnet – weitläufige Landschaften, die an Kanadas berühmte Provinz erinnern, jedoch mit vier Mal mehr aktiven Vulkanen als ganz Kanada.

„Wir Hokkaido-Bewohner leben anders als der Rest Japans. Hier zählt der Rhythmus der Natur, nicht der Takt der Großstadt. Im Sommer blüht der Lavendel, im Winter fällt Powder-Schnee. Wir haben Platz zum Atmen – das ist unser wahrer Reichtum.“

Besonders im Juli erlebt Hokkaido seinen spektakulärsten Moment: Die Lavendelblüte in Furano verwandelt ganze Täler in lila Teppiche – ein Anblick, der an die Provence erinnert, aber in Japan einzigartig ist. Hokkaidos Lavendelfelder sind ein ähnlich überraschendes Phänomen wie Deutschlands unerwartetes mediterranes Weinparadies in Radebeul.

Während meiner Erkundung der sternförmigen Festung Goryōkaku in Hakodate wird mir klar: Diese Insel ist nicht nur geografisch, sondern auch kulturell eine Ausnahme. Im Boshin-Krieg (1868-1869) war sie Schauplatz der letzten Schlacht der Shogunats-Ära – ein faszinierendes Stück japanischer Geschichte, das in den üblichen Reiseführern kaum Erwähnung findet.

Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen

Für den perfekten Besuch erreichen Sie Hokkaido am besten über den New Chitose Airport nahe Sapporo. Mieten Sie unbedingt einen Wagen – die öffentlichen Verkehrsmittel sind zwar zuverlässig, aber für die Erkundung der weitläufigen Natur unzureichend. Planen Sie Ihren Besuch zur Lavendelblüte Anfang bis Mitte Juli oder für Wintererlebnisse im Januar/Februar.

Ein verstecktes Juwel ist der Shirogane Blaue Teich bei Biei, dessen türkisfarbenes Wasser besonders am frühen Morgen mystisch leuchtet. Die beste Zeit für Sapporo ist der späte Nachmittag, wenn lokale Food-Märkte wie Nijo Market lebendiger werden und Sie Miso-Ramen für umgerechnet 8-10 Euro genießen können.

Wer Hokkaido besucht hat und weitere asiatische Naturparadiese entdecken möchte, sollte Thailands unberührte Küstenregion Khao Lak in Betracht ziehen – beide Orte bieten authentische Erlebnisse abseits der Touristenmassen.

Als ich meiner Tochter Emma gestern von Hokkaido erzählte, fragte sie mich: „Ist dort wirklich so viel Platz, Papa?“ Ich musste lächeln. In einer Welt, die immer enger zusammenrückt, ist Hokkaido ein kostbares Juwel der Weitläufigkeit. Die Ainu haben ein Sprichwort: „Das Land ist lebendig, es atmet mit uns.“ Nirgendwo in Japan spürt man diese Verbindung deutlicher als hier, wo der Mensch die Landschaft nicht dominiert, sondern Teil von ihr ist. Die wahre Entdeckung Japans beginnt erst, wenn man den Mut hat, über Tokyo und Kyoto hinauszuschauen.