Ich halte inne auf der mittelalterlichen Stadtmauer, während die Abendsonne die roten Backsteingiebel der Marienkirche in goldenes Licht taucht. Vor mir erstreckt sich eine 19.000 Einwohner zählende Kleinstadt, deren turmgesäumte Silhouette sich im glitzernden Unteruckersee spiegelt. Prenzlau in Brandenburg bewahrt ein Geheimnis: In einer Stadt dieser Größe sollten architektonische Meisterwerke dieser Dimension eigentlich nicht existieren. Während ich die 1.000 Meter original erhaltener Stadtmauer entlangwandere, frage ich mich, wie eine solche mittelalterliche Pracht so vollständig vom internationalen Tourismus übersehen werden konnte.
Europas geheimes Backstein-Kleinod: 19.000 Einwohner bewahren mittelalterliche Pracht
Die Zahlen erzählen eine verblüffende Geschichte. Prenzlau vereint vier monumentale Backsteinkirchen und ein Kloster auf einer Altstadtfläche von nur einem Quadratkilometer. Diese Dichte mittelalterlicher Backsteingotik sucht ihresgleichen in Europa.
Als Teil der offiziellen „Europäischen Route der Backsteingotik“ steht Prenzlau in einer Reihe mit Stralsund und Gdańsk, bleibt jedoch erstaunlich leer von Besuchermassen. Während ich die 234 Stufen zum Turm der Marienkirche erklimme, begegne ich keiner Menschenseele.
Oben angekommen bietet sich ein atemberaubendes 360-Grad-Panorama über die Uckermark. Die Marienkirche selbst ist ein architektonisches Wunderwerk – 70 Meter ragen ihre Türme in den Himmel, das Kirchenschiff misst 56 Meter in der Länge. Besonders beeindruckend ist die einzigartige Schaufassade am Ostgiebel, inspiriert vom Kölner Dom, ein Meisterstück mittelalterlicher Ingenieurskunst.
Das Dominikanerkloster nebenan beherbergt eine versteckte Kapelle. Im Gegensatz zu Mtskheta in Georgien mit seinen UNESCO-Kirchen hat Prenzlau keine internationale Anerkennung erhalten – was den besonderen Reiz des unentdeckten ausmacht.
Prenzlau vs. Stralsund: Gleiche Architektur, 70% weniger Besucher
Der Kontrast zu bekannteren Backsteinperlen an der Ostsee ist frappierend. Während Stralsund jährlich von Touristenmassen überrannt wird, bleibt Prenzlau weitgehend unberührt. Die gleiche architektonische Qualität steht hier ohne Anstehen zur Verfügung.
„Viele reisen hunderte Kilometer an die Ostsee, um Backsteingotik zu sehen. Hier haben wir dieselbe Pracht, aber die Kirche gehört dir praktisch allein. Du kannst die Stille der Gewölbe spüren, genau wie vor 700 Jahren.“
Die Authentizität spürt man überall. Ähnlich wie in spanischen Kleinstädten mit ihren bewahrten Traditionen werden in Prenzlau lokale Handwerkskunst und mittelalterliche Feste hochgehalten. Doch im Gegensatz zu kalifornischen Kleinstädten, die von Touristen überrannt werden, bewahrt Prenzlau seine Seele für diejenigen, die den Weg hierher finden.
Die Kreuzrippengewölbe der Marienkirche wurden erst 2020 vollständig restauriert, mit Schlusselementen aus schwedischem Granit aus lokalen Findlingen. Steinmetze arbeiteten mit traditionellen Techniken, die seit Jahrhunderten unverändert geblieben sind.
Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen
Der beste Zugang zur Altstadt erfolgt über den Stadtpark am Marktberg, wo kostenlose Parkplätze zur Verfügung stehen. Besuchen Sie die Marienkirche am frühen Morgen, wenn das Licht durch die gotischen Fenster strömt und die Akustik des leeren Raumes am beeindruckendsten ist.
Verbinden Sie Geschichte mit Natur auf dem Stadtmauerundweg, der am Unteruckersee entlangführt. Für Radreisende liegt Prenzlau strategisch günstig am Berlin-Usedom-Radweg, nur 100 km nördlich von Berlin.
Während Capitola als „Amerikas Antwort auf Cinque Terre“ gilt, könnte Prenzlau durchaus als „Deutschlands authentische Alternative zu Gdańsk“ bezeichnet werden – mit dem gleichen architektonischen Erbe, aber einer viel intimeren Atmosphäre.
Ähnlich wie Murray in Kentucky vereint auch Prenzlau ein reiches kulturelles Erbe mit überraschenden Naturerlebnissen – der Unteruckersee bietet Kanu-, Segel- und E-Foil-Möglichkeiten in unmittelbarer Nähe zur mittelalterlichen Stadtkulisse.
Als ich meine Kamera einpacke und Sarah eine letzte Nachricht mit dem Foto der Backsteingiebel im Abendlicht schicke, denke ich daran, wie Emma die Türme der Marienkirche mit „roten Ritterburgen“ vergleichen würde. In einer Zeit, in der authentische Reiseerlebnisse immer seltener werden, fühlt sich Prenzlau wie ein kostbares Geschenk an – eine mittelalterliche Perle, die darauf wartet, von denen entdeckt zu werden, die das Besondere jenseits der ausgetretenen Pfade suchen.