Weniger touristisch als Sylt bietet dieses nordfriesische Küsten-Juwel von 23.735 Einwohnern perfekte Ruhe

Der schwere Wind vom Wattenmeer peitscht mir entgegen, als ich auf dem Deich bei Husum stehe. Vor mir erstreckt sich eine scheinbar endlose Fläche freiliegenden Meeresbodens – ein Anblick, den man sonst nirgendwo in dieser Form erlebt. Diese unscheinbare Stadt mit gerade einmal 23.735 Einwohnern erwirtschaftet jährlich 162 Millionen Euro durch Tourismus – und das, obwohl sie im Schatten des berühmten Sylt steht. Der Grund für diesen verborgenen Erfolg liegt buchstäblich vor meinen Füßen: Das UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer, das zweimal täglich 4.000 Quadratkilometer Meeresboden freigibt.

Husums verborgene Wirtschaftskraft: 15% des Einkommens aus unberührter Natur

Der Kontrast könnte kaum größer sein. Während Sylt mit Champagner und Prominenz wirbt, generiert das bescheidene Husum still und leise 15% seiner Wirtschaftsleistung durch Besucher, die das Außergewöhnliche suchen. „Der Unterschied ist, dass unsere Gäste nicht gesehen werden wollen, sondern selbst sehen möchten“, erklärt mir ein Wattwanderführer.

Husum hat etwas, das selbst die teuersten Ferienorte nicht kaufen können: direkten Zugang zum größten zusammenhängenden Wattenmeer der Welt. Die über 2.580 Vollzeitarbeitsplätze im Tourismus verraten, wie wichtig dieses Naturwunder für die lokale Wirtschaft ist. Besonders faszinierend: Bei extremer Ebbe kann man hier wortwörtlich 7 Kilometer weit ins Meer hineinwandern.

„Wer einmal barfuß durch diesen Meeresboden gewandert ist, kommt immer wieder. Es ist, als würde man auf einem anderen Planeten spazieren, nur 90 Minuten von Hamburg entfernt.“

Diese Einzigartigkeit hat die Stadt klug genutzt, ohne in die Tourismusfalle zu tappen. Während an Spitzentagen auf Sylt mehr als 15.000 Tagesgäste die Insel überfluten, bleibt Husum authentisch nordfriesisch. Die Theodor-Storm-Stadt – benannt nach ihrem berühmtesten Sohn – verbindet Literaturgeschichte mit Naturerlebnis.

Der authentische Gegenentwurf zu Deutschlands überlaufenen Küstenorten

Im Vergleich mit anderen norddeutschen Städten bewahrt Husum seine Authentizität durch bewusste Zurückhaltung. Ähnlich wie andere norddeutsche Städte abseits der Touristenrouten setzt man hier auf Qualität statt Quantität.

Das UNESCO-Wattenmeer teilt sich Husum zwar mit dem niederländischen Waddenzee, doch die Zugangsmöglichkeiten sind hier deutlich besser. Während Sylt als Hotspot der Region mit Überfüllung kämpft, bietet Husum die perfekte Balance: unberührte Natur mit ausreichender Infrastruktur.

Der Hafen mit seinen historischen Speicherhäusern aus dem 18. Jahrhundert bildet das Zentrum, während das Schloss vor Husum mit seiner spektakulären Krokusblüte (über 4 Millionen Pflanzen im Frühjahr) einen kulturellen Anker bietet. Die Verbindung von Kultur und Natur ist nirgendwo sonst so präsent wie hier.

Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen

Der beste Zugang zum Wattenmeer erfolgt über den Husumer Außenhafen, wo kostenlose Parkplätze zur Verfügung stehen. Die geführten Wattwanderungen starten von hier – unbedingt 2-3 Tage vorher buchen, besonders in der Hauptsaison von Juni bis September.

Besuchen Sie das Wattenmeer am frühen Vormittag, wenn die Ebbe beginnt und das Licht am schönsten ist. Die Gezeiten wechseln täglich, daher unbedingt die aktuellen Zeiten beim Tourismusbüro erfragen. Während der Rheinsteig für Höhenwanderungen bekannt ist, bietet das Wattenmeer ein völlig gegensätzliches Erlebnis – horizontal statt vertikal.

Nach einer Wattwanderung empfehle ich einen Besuch im NordseeMuseum, wo die sagenumwobene Geschichte des versunkenen Dorfes Rungholt erzählt wird – ein faszinierender Kontrast zu anderen deutschen UNESCO-Welterbestätten, die meist kulturelles statt natürliches Erbe schützen.

Als ich mit Sarah am letzten Abend auf dem 33 Meter hohen Wasserturm stehe, verstehe ich endlich, warum dieses nordfriesische Juwel noch nicht überlaufen ist. Der Zauber Husums liegt in seiner Unaufgeregtheit. Während andere Küstenorte um Aufmerksamkeit buhlen, lässt diese Stadt die Natur für sich sprechen. Wie der Dichter Theodor Storm es ausdrückte: „Der eine fragt: Was kommt danach? Der andere fragt nur: Ist es recht? Und also unterscheidet sich der Freie von dem Knecht.“ Husum hat sich für den authentischen Weg entschieden – und das macht es zum perfekten Gegenentwurf zu Deutschlands überfüllten Küstenzielen.