Mit jeder Brise, die vom Wasser herüberweht, verstehe ich, warum Heiligenhafen ein besonderes Geheimnis der deutschen Ostseeküste bleibt. Gerade eben stehe ich auf der Zickzack-förmigen 435 Meter langen Seebrücke, während sich rechts von mir der geschäftige Yachthafen mit 1.000 Liegeplätzen erstreckt. Links dagegen liegt etwas völlig Unerwartetes – eine stille, naturbelassene Halbinsel. Dies ist der Graswarder, ein 230 Hektar großes Vogelschutzgebiet, das weniger als einen Kilometer vom touristischen Treiben entfernt liegt. Zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten, vereint in einer Stadt mit gerade einmal 9.485 Einwohnern.
Zwischen Yachthafen und Vogelparadies: 230 Hektar versteckte Natur
Der schmale Landstreifen des Graswarders schützt den Hafen von Heiligenhafen seit Jahrhunderten vor den rauen Ostseewinden. Heute beherbergt dieses Naturschutzgebiet über 140 Vogelarten, darunter seltene Watvögel und Brandgänse. Das Besondere: Im Gegensatz zu vielen überlaufenen Touristenzielen an der Ostsee ist der Graswarder nur mit geführten Touren zugänglich.
„Wer morgens um sechs mit uns durch die Dünenlandschaft wandert, erlebt ein völlig anderes Ostseegefühl als an den großen Stränden“, erzählt mir einer der Naturführer, während wir auf schmalem Pfad durch kniehohes Gras stapfen. Vor uns fliegen Austernfischer auf, erkennbar an ihren orangeroten Schnäbeln.
Während Binz mit seinen 70 denkmalgeschützten Villen Architekturliebhaber anzieht, begeistert Heiligenhafen Naturfreunde mit seinem weitläufigen Vogelschutzgebiet. Am westlichen Ende des Graswarders erhebt sich eine Steilküste, wo Bernsteinsucher nach Sturmtagen fündig werden können – ein kleines Abenteuer abseits der klassischen Stranderlebnisse.
Weniger überlaufen als Kühlungsborn: So erlebst du die Ostsee ohne Massen
Der Kontrast zu den bekannten Ostseebädern könnte größer nicht sein. Während in Kühlungsborn und Warnemünde die Strandkörbe in Dreierreihen stehen, bietet Heiligenhafen selbst im Hochsommer entspannte Strandabschnitte. Der benachbarte Steinwarder mit seinem feinsandigen Strand hat ausreichend Platz für Familien, ohne das Gefühl von Enge zu vermitteln.
„Ich komme seit 15 Jahren hierher und habe immer das Gefühl, einen Geheimtipp zu kennen. Morgens am Strand zu sitzen und gleichzeitig die Segelboote im Hafen zu beobachten – diese Mischung findest du woanders nicht.“
Die Stadt selbst ist klein und überschaubar. Im historischen Ortskern entdecke ich Backsteingebäude aus dem 13. Jahrhundert, die von der langen maritimen Geschichte zeugen. Während Wismar mit seiner Hansegeschichte beeindruckt, überrascht Heiligenhafen mit seinem unerwarteten Naturreichtum direkt neben dem Yachthafen.
Der modernere Teil der Stadt beherbergt den Erlebnisseebrücke mit ihren verschiedenen Bereichen – ein Spielplatzbereich für Kinder, Sonnendeck für Sonnenanbeter und überdachte Abschnitte, die selbst bei typisch norddeutschem Schietwetter Schutz bieten. Die Investition von mehreren Millionen Euro hat sich gelohnt – sie ist zum neuen Wahrzeichen geworden.
Mit dem Naturführer im Graswarder: Seltene Vogelarten entdecken
Die Graswarder-Führungen finden von April bis Oktober statt, wobei der frühe Morgen die besten Vogelbeobachtungen verspricht. Für 7 Euro pro Person erhält man Zugang zu einem Naturschatz, den selbst viele Deutsche nicht kennen. Meine Kamera ist kaum schnell genug für die Vielfalt der gefiederten Bewohner.
Naturbegeisterte Reisende, die von Heiligenhafens Graswarder fasziniert sind, finden in Arnarstapi auf Island ein ähnlich beeindruckendes Naturphänomen, allerdings mit vulkanischem statt maritimem Charakter.
Ein besonderer Tipp: Die Morgendämmerung am Hohen Ufer mit Blick auf den kleinen Leuchtturm am Steinwarder bietet nicht nur Fotografen perfekte Bedingungen. Im Sommer 2025 werden hier zusätzliche Vogelbeobachtungsplattformen errichtet, von denen aus man die geschützten Brutgebiete einsehen kann, ohne sie zu stören.
Perfektes Timing: Die beste Zeit für Heiligenhafens Naturwunder
Der Hochsommer bietet die perfekte Kombination: Badetemperaturen von bis zu 21°C im Wasser, gleichzeitig ideale Bedingungen für Vogelbeobachtungen am frühen Morgen oder späten Nachmittag. Für einen erweiterten Norddeutschland-Trip lässt sich Heiligenhafen ideal mit dem ruhigen Husum an der Nordseeküste kombinieren.
Der beste Zugang zum Graswarder ist über den kleinen Parkplatz am östlichen Ende des Hafens, wo täglich um 8:30 Uhr und 16:00 Uhr die Führungen starten. Eine Voranmeldung ist in der Hochsaison ratsam. Wer mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreist, kann vom Bahnhof einen kostenfreien Shuttlebus nehmen, der stündlich fährt.
Als ich auf meinem Rückweg vom Graswarder am Hafen ein Fischbrötchen genieße, sehe ich meine siebenjährige Tochter Emma am Strand Muscheln sammeln, während meine Frau Sarah die Szene fotografiert. In diesem Moment verstehe ich, warum Heiligenhafen mir wie ein gut gehütetes Familiengeheimnis vorkommt – einer jener seltenen Orte, wo die raue Nordseeluft auf sanften Naturschutz trifft und wo Hafenleben und Vogelparadies nur einen Steinwurf voneinander entfernt sind. Entdecken Sie es, bevor es alle tun.