Weniger bekannt als Aosta bietet diese Schweizer Stadt von 21759 Einwohnern 2000 Jahre Pilgergeschichte

Ich schlendere über den historischen Place Centrale in Martigny, wo sich das frühmorgendliche Licht zwischen den Arkaden bricht. Diese bemerkenswerte Stadt mit 21.759 Einwohnern auf gerade mal 32,59 km² versteckt ein Geheimnis, das selbst erfahrene Pilgerreisende oft übersehen. Als ich im römischen Amphitheater stehe, wird mir klar: Hier kreuzen sich 2.000 Jahre Geschichte mit einer kaum bekannten Pilgertradition. Während Touristenmassen sich in Aosta drängen, nur 40 Kilometer südlich im italienischen Aostatal, bietet Martigny eine atemberaubende Alternative für Reisende, die authentisches Alpenflair suchen.

Die 2.000-jährige Römerstadt mit moderner Kunstszene

Martigny, das römische Octodurus, beherbergt ein restauriertes Amphitheater mit 3.000 Plätzen und gut erhaltene Thermen aus dem 1. Jahrhundert. Im Gegensatz zu überlaufenen römischen Stätten kann man hier oft alleine zwischen antiken Mauern wandeln. Ähnlich wie im elsässischen Molsheim verbindet Martigny historisches Erbe mit zeitgenössischer Kultur auf kleinem Raum.

Das Herzstück dieser Verbindung ist die Fondation Pierre Gianadda, ein Museum, das buchstäblich um einen gallo-römischen Tempel herum gebaut wurde. Während Ålesund für seine Jugendstil-Architektur bekannt ist, beeindruckt Martigny mit antiken römischen Bauten und zeitgenössischer Kunst. Die aktuelle Sommerausstellung zeigt Werke von Van Gogh neben einer permanenten Oldtimer-Sammlung.

Für Kunstkenner besonders faszinierend: Die Dichte an Kulturangeboten. Auf einer 10-minütigen Fußstrecke kann man vom römischen Amphitheater zur Fondation, dann zum Manoir de la Ville (einem Renaissance-Gutshof mit wechselnden Ausstellungen) und schließlich zum Barryland, dem Bernhardiner-Museum, spazieren.

Via Francigena: Martignys authentische Pilgerroute ohne Touristenmassen

Während die meisten Pilger den spanischen Jakobsweg überlaufen, bietet die Via Francigena – der historische Pilgerweg von Canterbury nach Rom – hier in Martigny eine friedliche Alternative. Die Stadt liegt an einer strategischen Kreuzung, wo sich der Weg mit der Route zum Großen Sankt Bernhard-Pass trifft.

„Man hört hier noch das Echo der mittelalterlichen Pilger. In Aosta fühlt man sich wie ein Tourist, in Martigny wie ein Entdecker. Der Unterschied liegt in der Authentizität und der Ruhe, mit der man Geschichte erleben kann.“

Wanderer und Pilger schätzen besonders die gut markierten Wege, die von der Stadt in die umliegenden Weinberge und weiter zu den Alpenpässen führen. Während die italienischen Alpenpässe wie das Stilfser Joch mit seinen spektakulären Haarnadelkurven von Motorradfahrern überlaufen sind, erleben Wanderer hier eine meditative Stille.

Die Stadt selbst bleibt vom Massentourismus verschont. Während über 3 Millionen Besucher jährlich durch Aosta strömen, bevölkern in Martigny hauptsächlich Einheimische die Straßencafés am Place Centrale. Man trinkt hier Petite Arvine, einen lokalen Weißwein, während man dem Plätschern des historischen Stadtbrunnens lauscht.

Was Aosta-Besucher in Martigny entdecken können

Die beiden Städte trennen nur 40 Kilometer, aber Welten in der Besuchererfahrung. Während Aosta mit großen Touristengruppen und überfüllten Cafés kämpft, bietet Martigny einen intimen Einblick in die Alpenkultur. Während Mostar durch seine ikonische Brücke zwei Kulturen verbindet, vereint Martigny römisches Erbe mit alpiner Schweizer Tradition.

Kulinarisch überzeugt Martigny mit Walliser Spezialitäten. Im Café du Midi probiere ich ein original Raclette – geschmolzener Käse, der traditionell vom Laib abgestrichen wird. Die Kellnerin erklärt, dass der Käse aus lokaler Milchproduktion stammt, von Kühen, die auf den umliegenden Alpweiden grasen.

Ein weiteres Highlight ist die Distillerie Morand, wo seit 1889 Fruchtbrände und Liköre hergestellt werden. Die Williamine, ein Birnenbrand aus Williams-Birnen, ist berühmt für ihre Intensität und Reinheit.

Optimale Reisezeit und lokale Geheimtipps

Der beste Zeitpunkt für einen Besuch ist Mai bis Oktober, wenn die Wanderwege schneefrei und die Weinberge in voller Pracht sind. Im Sommer finden zahlreiche Open-Air-Veranstaltungen statt, darunter das Martigny Jazz Festival und das Festival des 5 Continents mit Weltmusik.

Um das volle Erlebnis zu genießen, empfehle ich den „Baladeur“ – einen charmanten Hop-on-hop-off-Minizug, der die wichtigsten Sehenswürdigkeiten verbindet. Wer von Martigny aus weitere Schweizer Alpengebiete erkunden möchte, findet in Gstaad mit seiner einzigartigen Gipfel-zu-Gipfel-Hängebrücke ein beeindruckendes Ziel.

Als ich beim Sonnenuntergang mit einem Glas Petite Arvine auf der Terrasse des Cafés am Place Centrale sitze, denke ich an die mittelalterlichen Pilger, die vor Jahrhunderten denselben Weg beschritten. Meine Frau Sarah würde die Lichtstimmung für ihre Fotografien lieben. In Martigny verschmelzen Vergangenheit und Gegenwart wie der Alpenfirn, der langsam in die Rhone fließt – beständig, kraftvoll und doch oft übersehen von denen, die nur den bekannten Gipfeln nacheifern.