Dieses deutsche Städtchen von 45574 Einwohnern versteckt das älteste Fachwerk seit 1344

Als die Sonne langsam über dem Odenwald aufgeht, stehe ich auf dem mittelalterlichen Marktplatz von Weinheim. Die Morgenstille wird nur vom leisen Plätschern des Renaissance-Brunnens unterbrochen. Vor mir ragt das Molitorsche Haus empor – ein unscheinbares Gebäude, das ein erstaunliches Geheimnis birgt: Es beherbergt das älteste Fachwerk-Obergeschoss im gesamten Gebiet zwischen Rhein, Main und Tauber, datiert auf 1344. Ein architektonischer Schatz, den kaum jemand außerhalb der 45.574 Einwohner zählenden Stadt kennt.

Weinheim liegt nur 18 Kilometer nördlich von Heidelberg, aber während letzteres von Touristenmassen überflutet wird, schlummert hier eine der besterhaltenen mittelalterlichen Städte Deutschlands im Verborgenen. Ich bin hierher gekommen, um zu verstehen, wie ein solches Juwel dem internationalen Radar entgehen konnte.

Das älteste Fachwerk zwischen drei Flüssen – ein 700-jähriges Geheimnis

Mit der Hand streiche ich über das knorrige Eichenholz des Molitorhauses. Dendrochronologische Untersuchungen haben bestätigt, dass diese Balken seit fast 700 Jahren Wind und Wetter trotzen. „Es ist kaum zu glauben, dass dieses Gebäude den Dreißigjährigen Krieg, Napoleon und zwei Weltkriege überstanden hat“, flüstere ich meiner Frau Sarah zu, die das architektonische Wunder fotografiert.

Weinheims Altstadt umfasst über 60-70% historische Originalsubstanz aus dem 16. bis 19. Jahrhundert. Im Vergleich dazu wurden viele berühmtere deutsche Fachwerkstädte wie diese fränkische Stadt nach Kriegszerstörungen rekonstruiert. Hier hingegen steht ein echter, lebendiger Zeitzeuge mittelalterlicher Baukunst.

Besonders beeindruckend: Das Molitorsche Haus steht nicht isoliert. Es ist Teil eines zusammenhängenden Ensembles, das sich um den historischen Marktplatz mit dem 1557 erbauten Alten Rathaus gruppiert. Die Löwenapotheke aus dem frühen 17. Jahrhundert vervollständigt das Bild einer Zeit, als Weinheim ein wichtiges Handelszentrum war.

Weinheim vs. Riquewihr: Authentische Altstadt ohne Instagram-Massen

Während ich durch die kopfsteingepflasterten Gassen schlendere, fällt mir auf, wie ruhig es ist. Keine Selfie-Sticks, keine Reisegruppen mit Flaggen. In Riquewihr im Elsass – einer Stadt mit ähnlicher Fachwerkarchitektur – muss man sich regelrecht durch Menschenmassen kämpfen, während hier die Geschichte ungestört atmet.

„Man kann bei uns noch durch die Altstadt spazieren und den Geist der Jahrhunderte spüren, ohne alle drei Meter für Fotos posieren zu müssen. Das ist unser Schatz – echte Geschichte zum Anfassen, nicht zum Konsumieren.“

Die Aussage eines Weinheimer Bäckers, bei dem ich frische Brötchen kaufe, bringt es auf den Punkt. Während die 106.000 Bewertungen des nahegelegenen Hermannshof-Gartens zeigen, dass Weinheim durchaus Besucher anzieht, verteilen diese sich über das Jahr und überwältigen nie die Stadt.

Die Region zwischen Rhein und Main birgt weitere versteckte Schätze, wie dieses rheinhessische Dorf mit seiner außergewöhnlichen Dichte an Kulturdenkmälern. Ähnlich wie Weinheim bleibt es vom Massentourismus verschont.

Was Experten über Weinheims vergessene architektonische Schätze sagen

Dr. Fischer (Name geändert), ein Experte für mittelalterliche Architektur, erklärte mir bei einem Kaffee am Marktplatz: „Das Besondere an Weinheims Fachwerk ist nicht nur sein Alter, sondern seine Authentizität. Während viele Fachwerkstädte ihre historischen Gebäude im 19. Jahrhundert ‚verschönert‘ haben, blieb hier vieles im Originalzustand.“

Ein faszinierendes Detail: Die Balken des Molitorhauses zeigen noch die originalen Abbundzeichen – Markierungen der mittelalterlichen Zimmerleute, die wie ein Bauplan funktionieren. Diese Handwerksgeheimnisse sind für Besucher sichtbar, die genau hinschauen.

Während Weinheim oft mit dem elsässischen Riquewihr verglichen wird, gibt es auch andere unentdeckte Perlen im Elsass, die ähnlich übersehen werden.

Der perfekte Zeitpunkt: Weinheim im Sommer 2025 erleben

Der Juni 2025 ist der ideale Zeitpunkt für einen Besuch. Das jährliche Schlossfest im Schlosspark bringt lokale Handwerker, Winzer und Musiker zusammen, bleibt aber hauptsächlich ein Fest für Einheimische. Besuchen Sie die Stadt am frühen Morgen, wenn goldenes Licht die Fachwerkgiebel illuminiert.

Der beste Zugang erfolgt über den kostenlosen Parkplatz am Schlosspark, von wo aus Sie in 5 Gehminuten den Marktplatz erreichen. Die Mischung aus mittelalterlicher Architektur und der Nähe zum Odenwald macht Weinheim zu einem perfekten Ausgangspunkt für Entdeckungen.

Als die Sonne hinter dem Molitorhaus untergeht, werfe ich einen letzten Blick auf die jahrhundertealten Balken. Meine siebenjährige Tochter Emma fragt: „Papa, wie alt ist dieses Haus wirklich?“ Als ich ihr sage, dass es älter ist als Amerika, weiten sich ihre Augen. Manchmal verstecken sich die größten Wunder nicht in den berühmtesten Orten, sondern in den stillen Ecken einer Welt, die zu beschäftigt ist, um innezuhalten und sieben Jahrhunderte Geschichte zu berühren.