Ich halte inne, als ich die letzte Biegung des Sieg-Wanderwegs nehme. Da steht sie vor mir – eine mittelalterliche Festungsstadt auf einem dramatischen Felsvorsprung, der 79 Meter über dem glitzernden Siegtal thront. Was mich verblüfft: In dieser perfekt erhaltenen Stadtanlage, die einst das Schicksal einer ganzen Region bestimmte, leben heute gerade einmal 614 Menschen. Willkommen in Stadt Blankenberg, einem historischen Juwel, das 560 Jahre lang eigene Stadtrechte besaß und heute wie eine Zeitkapsel wirkt – nur 30 Minuten östlich von Bonn und 45 Minuten von Köln entfernt.
Die vergessene Zeitkapsel: Als 614 Einwohner die Erben einer 560-jährigen Stadtgeschichte wurden
Während ich durch das mittelalterliche Stadttor trete, wird mir die außergewöhnliche Geschichte dieses Ortes bewusst. Im Jahr 1245 erhielt Blankenberg Stadtrechte vom Grafen von Sayn – ein Privileg, das die Stadt bis 1805 behielt.
Der Kontrast ist atemberaubend: Eine Siedlung mit der Einwohnerzahl eines modernen Apartmenthauses trägt das Erbe einer über ein halbes Jahrtausend währenden Stadtgeschichte. Ähnlich wie in einigen rheinhessischen Dörfern mit erstaunlicher Kulturdichte findet sich hier Geschichte in jeder Ecke.
Ich streife durch kopfsteingepflasterte Gassen, die von Fachwerkhäusern aus dem 16. und 17. Jahrhundert gesäumt werden. Die Stadtmauer mit ihren verschieferten Innenflächen und originalen Schießscharten steht noch immer – ein architektonisches Wunder, das die Jahrhunderte überdauert hat.
Der Grabenturm, ein massiver Verteidigungsturm an der Südseite, bietet einen Panoramablick auf das Siegtal. Seine strategische Bedeutung wird sofort klar, wenn man auf die umliegenden Hügel blickt, von denen aus feindliche Truppen einst heranrücken konnten.
79 Meter Höhenunterschied: Wie die dramatische Lage Blankenberg zum strategischen Mittelpunkt machte
Während andere deutsche Burganlagen durch ihre schiere Größe beeindrucken, besticht Blankenberg durch seine perfekte Integration in die Landschaft. Die mittelalterlichen Baumeister nutzten jeden Zentimeter des steilen Bergkamms, der 152 Meter über dem Meeresspiegel liegt.
Der Fluss Sieg, der sich 79 Meter tiefer durch das Tal schlängelt, bildete eine natürliche Verteidigungslinie. „Burg, Stadt und Kirche bilden eine der mächtigsten Befestigungsanlagen im westdeutschen Raum“, heißt es in historischen Beschreibungen – und vor Ort verstehe ich sofort, warum.
„Man spürt die Geschichte in jeder Steinritze. An einem stillen Sommermorgen kann ich mir vorstellen, wie das Leben hier vor 500 Jahren war – ohne die Touristenmassen, die andere mittelalterliche Städte überfluten. Hier erlebt man Geschichte pur.“
Die Grafen von Sayn wählten diesen Ort mit Bedacht. Von hier kontrollierten sie wichtige Handelsrouten und konnten sich gegen Angriffe verteidigen. Zwischen 1150 und 1180 erbaut, wurde die Burg 1181 erstmals urkundlich erwähnt – ein beeindruckendes Beispiel mittelalterlicher Verteidigungsarchitektur.
Im Gegensatz zu Rothenburg ob der Tauber mit seinen Millionen Besuchern jährlich empfängt Blankenberg nur wenige Tausend – ein Segen für Reisende wie mich, die authentische Geschichte ohne Menschenmassen erleben wollen.
Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen
Der beste Zugang erfolgt mit der S-Bahn Linie 12 von Köln oder Bonn bis zur Haltestelle „Blankenberg“. Von dort führt ein 15-minütiger Wanderweg bergauf zur Altstadt – ein Anstieg, der mit spektakulären Ausblicken belohnt wird.
Wer mit dem Auto kommt, findet am Fuß des Berges einen kostenlosen Parkplatz. Wanderbegeisterte können Blankenberg ideal mit einer Etappe des nahegelegenen Rheinsteigs verbinden, der 2025 immer beliebter wird.
Besuchen Sie den Ort unbedingt früh morgens oder am späten Nachmittag, wenn die wenigen Tagestouristen verschwunden sind. Die Nachtwächterführungen jeden ersten Freitag im Monat um 20 Uhr bieten einen mystischen Einblick in die mittelalterliche Vergangenheit.
Während andere historische Orte Deutschlands Eintrittsgelder verlangen, ist die Besichtigung von Blankenberg völlig kostenlos. Wie auch in anderen historischen Orten mit beeindruckenden Wanderwegen lässt sich hier Kulturgeschichte mit Naturerlebnissen verbinden.
Als ich zum letzten Mal auf die Mauern von Blankenberg zurückblicke, denke ich an all die mittelalterlichen Städte in Europa, die ich bereist habe. Selten habe ich einen Ort gefunden, der Geschichte so unverfälscht bewahrt hat. „Es ist wie eine Reise durch die Zeit,“ flüsterte mir Sarah zu, als ich ihr die Fotos zeigte. Ich wette, unsere Tochter Emma würde die alten Mauern sofort erklimmen wollen. In einer Welt, in der authentische Reiseerlebnisse immer seltener werden, bleibt Blankenberg ein kostbares Juwel – zumindest noch.