Der Morgennebel verzieht sich langsam über dem Stettiner Haff, während ich auf der Holzterrasse des Hafenrestaurants stehe. Vor mir liegt Ueckermünde mit seinen 8.871 Einwohnern, eine Stadt, die den nordöstlichsten Seehafen Deutschlands beherbergt. Ich bin nur zwei Stunden von Berlin entfernt, doch die Atmosphäre könnte nicht unterschiedlicher sein. Das imposante Schloss aus dem Jahr 1546 spiegelt sich im ruhigen Wasser – der letzte erhaltene Profanbau der pommerschen Herzöge und ein architektonisches Geheimnis, das die meisten Deutschland-Reisenden übersehen.
Der letzte herzogliche Profanbau Pommerns: 475 Jahre Geschichte im Schloss Ueckermünde
Das Herzstück der Stadt ist zweifelsohne das Schloss, das ursprünglich als Jagdresidenz der pommerschen Herzöge diente. Mit seiner 475-jährigen Geschichte beherbergt es heute das Rathaus und das faszinierende Haffmuseum. Ähnlich wie Schneeberg mit seiner verborgenen Bergbaugeschichte bewahrt Ueckermünde sein historisches Erbe in jedem Winkel.
Der Schlossturm bietet einen atemberaubenden Panoramablick über die gesamte Altstadt mit ihrem mittelalterlichen Straßengrundriss und das weitläufige Stettiner Haff. Der Kontrast zwischen der herzoglichen Pracht und dem maritimen Erbe ist nirgendwo sonst in Deutschland so unmittelbar erlebbar.
In der Altstadt selbst reihen sich gut erhaltene Fachwerkhäuser aneinander. Das beeindruckendste Beispiel findet sich in der Rathausgasse 2 – ein Fachwerkjuwel aus dem 18. Jahrhundert. Während ich durch die kopfsteingepflasterten Gassen schlendere, fällt mir auf, dass hier kaum Touristen unterwegs sind – ein drastischer Unterschied zu überlaufenen Ostseebädern.
Vom nordöstlichsten Hafen Deutschlands zu versteckten Altstadtgassen
Der Stadthafen von Ueckermünde, nur 5 Meter über dem Meeresspiegel gelegen, ist ein lebendiges Zentrum maritimer Kultur. Anders als in Flensburg, dem aufstrebenden maritimen Reiseziel im Westen, bewahrt Ueckermünde noch seinen ursprünglichen Charakter ohne übermäßige Kommerzialisierung.
Ein besonderes Spektakel bietet die historische Klappbrücke, die mehrmals täglich für durchfahrende Boote geöffnet wird. Vom Brückencafé aus beobachte ich diese mechanische Choreografie bei einem Kaffee – ein Ritual, das seit Generationen unverändert geblieben ist.
„Wir haben ganz Europa bereist, aber nirgendwo sonst findet man diese Kombination aus pommerscner Architektur, Hafenleben und unberührter Natur – ohne Touristenmassen, die einem die Aussicht versperren.“
Das Stettiner Haff selbst ist ein einzigartiges Brackwasser-Ökosystem, das Süß- und Salzwasser vereint. Im Kontrast zu Wangerooge mit seinen täglichen 3.000 Besuchern genießt man hier oft ganze Strandabschnitte für sich allein.
Ein verstecktes Highlight ist die hölzerne Strandbrücke, die durch Schilf und Röhricht zum offenen Haff führt. Mit etwas Glück kann man hier Flussneunaugen und andere seltene Brackwasserarten beobachten – ein Naturparadies für Vogelbeobachter und Fotografen.
Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen
Der beste Zugang zur Stadt erfolgt über die B109 von Berlin kommend, mit kostenlosem Parken am Stadtrand. Besuchen Sie den Tierpark am frühen Morgen, wenn die über 400 Tiere besonders aktiv sind – darunter sogar Exoten wie Kängurus und Löwen, eine Seltenheit für eine Stadt dieser Größe.
Für Geschichtsinteressierte lohnt sich ein Abstecher zur barocken Marienkirche von 1766, deren Turm früher als Navigationsmarke für Schiffe diente. Kombinieren Sie Ihren Besuch mit einem Aufenthalt in Bad Elster, das königliche Kurarchitektur bewahrt – beide Orte vermitteln authentische Geschichte abseits des Massentourismus.
Die beste Reisezeit ist Juni bis September, wenn die Haff-Sail-Regatta und zahlreiche Hafenfeste stattfinden. In den lokalen Restaurants wie dem „Roten Butt“ servieren sie frischen Haff-Fisch mit regionalen Beilagen – ein kulinarisches Erlebnis, das selbst meine Frau Sarah, die anspruchsvolle Fotografin, begeisterte.
Als ich mit meiner siebenjährigen Tochter Emma auf dem Rückweg zum Auto durch die Altstadt schlendere, kaufen wir in einer der traditionellen Bäckereien frisches Pommernbrot. „Dat’s echt Haff-Gold,“ sagt der Bäcker augenzwinkernd – ein lokaler Ausdruck für etwas besonders Wertvolles. Wie dieser unscheinbare Küstenort selbst: ein verborgener Schatz, der seine Seele bewahrt hat, während andere Ostseebäder dem Massentourismus zum Opfer fielen.