Der Wellblech-Flughafen von Tongatapu empfängt mich mit Wellen tropischer Hitze und dem süßen Duft von Frangipani. Gerade eben aus dem kleinen Turboprop-Flugzeug gestiegen, steht unsere Familie allein auf dem Vorfeld – keine Schlangen, keine Touristen. „Hier leben 24.500 Menschen„, flüstert mir ein tonganischer Taxifahrer zu, „das sind über 70% der Bevölkerung unseres Landes auf dieser einen Insel.“ Mein Blick schweift über sanfte Hügel, unter denen sich jahrtausendealte Steinmonumente verstecken. Während meiner 15 Jahre als Reisejournalist habe ich selten einen Ort gefunden, der so reich an Kultur und so arm an Touristen ist.
Eine pazifische Insel mit faszinierendem Besucherverhältnis
Tongatapu empfängt jährlich nicht mehr als einen Besucher pro Einwohner – ein erstaunlicher Kontrast zu den überlaufenen Stränden Fijis, wo dieses Verhältnis bei 5:1 liegt. Für einen Ort, der prähistorische Megalithen, einen aktiven königlichen Palast und spektakuläre Walbeobachtungsmöglichkeiten kombiniert, ist diese touristische Zurückhaltung verblüffend.
Beim Sonnenaufgang stehe ich vor dem Ha’amonga ‚a Maui, einem massiven Steintor aus dem 13. Jahrhundert. Drei Korallenblöcke, jeder über 40 Tonnen schwer, bilden ein prähistorisches Monument, das einheimische Guides als „Polynesisches Stonehenge“ bezeichnen. Sarah, meine Frau und Fotografin, arbeitet an Aufnahmen, während wir völlig allein sind – in Stonehenge wären um diese Zeit bereits Hunderte Touristen.
„Die meisten Besucher bleiben nur einen Tag, wenn ihre Kreuzfahrtschiffe anlegen,“ erzählt Sione, unser Guide. „Sie sehen nur die Hauptstadt und einen Strand. Die wahren Schätze Tongatapus bleiben verborgen.“ Der Kontrast ist atemberaubend: Während Mykonos im Sommer von 50.000 Touristen überschwemmt wird, bewahrt Tongatapu seine ruhige Authentizität.
„Wer in den Gewässern vor Tongatapu mit Buckelwalen schwimmt, versteht die Bedeutung des Wortes ‚tapu‘ – heilig. In meinen 30 Jahren als Naturführer habe ich nirgendwo sonst Wale erlebt, die Menschen mit solcher Neugier und Sanftmut begegnen.“
Es ist Juni 2025, Hauptsaison für Walbeobachtungen, doch im Gegensatz zu überfüllten Walbeobachtungstouren in anderen Teilen der Welt gleiten nur drei kleine Boote über die kristallklaren Gewässer. Buckelwale mit ihren Kälbern haben diese Gewässer für ihre Wintermigration gewählt – ähnlich wie dieser costa-ricanische Küstenort, der jährlich beide Buckelwal-Populationen der Welt empfängt.
In der Hauptstadt Nukuʻalofa sehe ich den bescheidenen Königspalast – ein weißes Holzgebäude aus dem 19. Jahrhundert, das von einer niedrigen Mauer umgeben ist. Als einziges aktives polynesisches Königreich der Welt verbindet Tonga Tradition mit Moderne. Auf dem nahegelegenen Talamahu-Markt stapeln Verkäufer frische Kokosnüsse, Taro und exotische Früchte in bunten Pyramiden.
Kulturelle Dichte trifft auf unberührte Küsten
Tongatapu teilt mit dieser thailändischen Insel das seltene Privileg, noch nicht vom Massentourismus entdeckt worden zu sein. Die ‚Anahulu-Höhle im Osten der Insel – ein glitzerndes Unterwassersystem, in dem wir völlig alleine schwimmen – wäre an anderen Orten von Besuchern überlaufen.
Die niedrige Höhe der Insel – durchschnittlich 5 Meter über dem Meeresspiegel – macht Tongatapu anfällig für den Klimawandel, verleiht ihr aber auch eine einzigartige flache Schönheit. An der Südküste lässt mich das Naturschauspiel der Mapu’a ‚a Vaea Blowholes staunen: Bei Flut schießen Wasserfontänen bis zu 30 Meter durch Vulkangestein in die Höhe – ein Spektakel, das ohne Eintrittsgebühren oder Absperrungen zu erleben ist.
Am beeindruckendsten ist jedoch die Kultur: Das Heilala Festival im Juli lockt Tonganer aus aller Welt zur Feier ihrer Identität. Traditionelle Tapa-Stoffherstellung, Kava-Zeremonien und polynesische Tänze werden nicht für Touristen aufgeführt, sondern leben als alltägliche Praxis. Meine siebenjährige Tochter Emma lernt von einer freundlichen Einheimischen, wie man Palmblätter für Körbe flechtet – ein Wissen, das seit Generationen weitergegeben wird.
Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen
Der beste Zugang zu Tongatapu erfolgt über Fiji Airways mit Verbindungen über Nadi. Meiden Sie die Kreuzfahrttage (meist Mittwoch und Freitag), wenn kurzfristige Besuchergruppen die Hauptattraktionen überfluten. Die Walbeobachtungssaison erreicht zwischen Juni und August ihren Höhepunkt – buchen Sie Touren mindestens drei Tage im Voraus.
Besuchen Sie den Ha’amonga ‚a Maui bei Sonnenaufgang (6:00 Uhr) oder kurz vor Sonnenuntergang (17:30 Uhr), wenn das Licht die Korallensteine in goldenes Licht taucht. Für Unterkünfte wählen Sie Familienunterkünfte statt internationaler Hotels – sie bieten authentischere Erfahrungen zu einem Drittel des Preises.
Während meiner Abreise reflektiere ich über die tonganische Weisheit „vaha’a,“ was „den Raum dazwischen“ bedeutet. Tongatapu existiert in diesem perfekten Zwischenraum – zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Isolation und Zugänglichkeit. Als der kleine Flieger abhebt, weiß ich, dass ich ein Stück dieser Insel mit nach Hause nehme, die dem Massentourismus bisher widersteht und ihre Seele bewahrt. Manche Orte sollten entdeckt, aber nie überrannt werden – Tongatapu ist genau solch ein Schatz.