Die Sonne taucht den unberührten Küstenstreifen in goldenes Licht, als ich barfuß über den feinen weißen Sand von Radhanagar Beach wandere. Vor mir erstreckt sich einer der nur 8 Blue-Flag-zertifizierten Strände Indiens, ein Küstenabschnitt auf Swaraj Dweep (früher Havelock Island), 57 Kilometer von Port Blair entfernt. Was mich sofort verblüfft: Trotz seiner Auszeichnung als Top-5 Strand Asiens durch TripAdvisor 2025 zähle ich heute Nachmittag weniger als 20 Besucher auf dem 1,5 Kilometer langen Paradies.
Nach sieben Jahren Reiserecherche in Südostasien stehe ich vor einem erstaunlichen Paradoxon: Ein offiziell geadelter Strand, der gleichzeitig ein absolutes Geheimnis bleibt. Das Rauschen der sanften Wellen übertönt jedes andere Geräusch. „Wie kann ein Ort gleichzeitig weltberühmt und unentdeckt sein?“, frage ich mich, während das türkisfarbene Wasser zwischen meinen Zehen spielt.
Der Blue-Flag-Strand, den selbst Indien-Kenner übersehen
Die Blue Flag Zertifizierung – ein internationales Umweltgütesiegel – wurde Radhanagar Beach für seine herausragende Wasserqualität, strenge Umweltstandards und nachhaltige Tourismuskonzepte verliehen. Ähnlich wie dieser karibische Meerespark, der mehreren Hurrikanen standhielt, zeigte auch Radhanagar seine Widerstandsfähigkeit – der Strand überstand den verheerenden Tsunami 2004 ohne nennenswerte Schäden.
Der Kontrast ist faszinierend: Während Reisende stundenlang für ein Selfie vor berühmten Landmarken anstehen, atme ich hier die salzige Luft mit nur einem Dutzend anderer Besucher. Das TIME Magazine kürte diesen Strand bereits 2004 zum besten Asiens, doch die Welt scheint diesen Schatz vergessen zu haben – oder bewusst zu schützen.
Als ich den versteckten Pfad zu Neil’s Cove entlangwandere – eine abgeschirmte Bucht 10 Gehminuten vom Hauptstrand entfernt – treffe ich auf einen lokalen Fischer, der seine morgendliche Ausbeute sortiert. Die Umbenennung von Havelock zu Swaraj Dweep im Jahr 2018 war für ihn ein Symbol der Freiheit, erzählt er. „Wir haben unsere eigene Identität zurückgewonnen, genau wie dieser Strand seine Reinheit bewahrt hat.“
Warum Radhanagar das Anti-Goa ist: Qualität statt Quantität
Die Zahlen sprechen für sich: Während Goas Palolem Beach täglich Tausende Besucher verzeichnet, begrüßt Radhanagar nur einen Bruchteil davon. Während Thailands Strände wie Koh Samet oft als ruhigere Alternative zu Phuket gelten, bietet Radhanagar eine noch authentischere Erfahrung ohne Massenbetrieb.
„Es gibt Orte, die bleiben unberührt, weil sie schwer zu erreichen sind. Und dann gibt es Orte wie Radhanagar, die bleiben unberührt, weil genau die richtigen Menschen sie finden – jene, die Ruhe mehr schätzen als Party.“
Der Fehlen von Strandliegen-Armeen, die anderswo jeden Quadratmeter besetzen, ist kein Zufall. Die Insel mit ihren nur 7.000 Einwohnern hat sich bewusst für nachhaltigen Tourismus entschieden. Ähnlich wie auf Tobagos versteckten Luxusstränden wird hier Exklusivität nicht durch Preise, sondern durch Bewahrung geschaffen.
Die wenigen Resorts am Strand setzen auf Solarenergie und strenge Carry-in-Carry-out-Richtlinien für Abfall. Ein Konzept, das funktioniert: Der dichte Dschungel reicht bis wenige Meter an den kristallklaren Ozean heran – ein Anblick, der in Asiens überlaufenen Strandmetropolen längst verloren ging.
Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen
Obwohl Oktober bis Februar als Hauptsaison gilt, ist Juni 2025 der perfekte Moment für einen Besuch. Die moderaten 15-34°C und geringere Touristenzahlen sorgen für ein exklusives Erlebnis. Die Fähre von Port Blair braucht zwischen 90 und 180 Minuten je nach Bootstyp – die langsamere Fähre bietet aber bessere Aussichten auf Meerestiere.
Von zwei Anlegestellen in Swaraj Dweep fahren regelmäßig Tuk-Tuks für etwa 250 Rupien (ca. 3€) zum Strand. Mein Insider-Tipp: Buchen Sie eine Übernachtung in einem der kleinen Eco-Cottages hinter dem Strand und erleben Sie den magischen Sonnenuntergang um 17:45 Uhr, wenn die Tagesgäste bereits abgereist sind.
Vergessen Sie nicht, den versteckten Pfad nördlich des Hauptstrandes zu erkunden, der zu einem fast vergessenen japanischen Kriegsdenkmal aus der Besatzungszeit des Zweiten Weltkriegs führt. Die Einheimischen wissen, dass diese Seite weniger besucht wird – hier finden Sie oft unberührten Sand und die besten Schnorchelmöglichkeiten.
Ist 2025 das letzte Jahr des unentdeckten Paradieses?
Während ich meine Notizen am Strand vervollständige, fällt mir auf, wie wertvoll dieser Moment ist. Sarah würde die pastellfarbenen Sonnenuntergänge für ihre Fotografie lieben, und unsere Tochter Emma wäre begeistert von den kleinen Krabben, die ihre komplexen Muster in den Sand zeichnen.
In einer Welt, in der Reiseziele oft durch ihre Instagram-Tauglichkeit beurteilt werden, ist Radhanagar wie ein gut gehütetes Familiengeheimnis – ein Ort, der seine Schönheit ohne Hashtags bewahrt hat. Doch wie die Einheimischen sagen: „Jyada charcha na karo“ – rede nicht zu viel darüber. Manche Geheimnisse sind es wert, bewahrt zu werden.