Dieses italienische Dorf von 800 Einwohnern empfängt jährlich 50.000 Besucher ohne Massentourismus

Der Wind zaust sanft an meinem Haar, während ich über die malerische Uferpromenade von Varenna schlendere. Die morgendliche Stille wird nur vom leisen Plätschern der Wellen unterbrochen. Dieser winzige Ort mit gerade einmal 800 Einwohnern beherbergt jährlich mehr als 50.000 Besucher – ein faszinierendes Verhältnis, das mich sofort in seinen Bann zieht. Ich bin hier, um zu verstehen, warum dieses versteckte Juwel am Comer See zunehmend ins Rampenlicht rückt.

Varenna thront auf einer kleinen Landzunge im östlichen Uferbereich, genau gegenüber von Bellagio und Menaggio. Diese drei Orte bilden das berühmte „Goldene Dreieck“ des Comer Sees, doch während die anderen beiden längst von Touristenmassen überrannt werden, bewahrt Varenna seinen authentischen Charme.

800 Einwohner, 50.000 Besucher: Das mathematische Paradox von Varenna

Während ich durch die gewundenen, kopfsteingepflasterten Gassen wandere, wird mir das unglaubliche Verhältnis bewusst: Auf jeden Einwohner kommen hier 62,5 Besucher pro Jahr. Trotzdem fühlt sich der Ort nie überlaufen an – ein kleines Wunder im Vergleich zu seinen Nachbarn.

Die Einheimischen haben eine bemerkenswerte Balance gefunden. In den engen Gassen, die vom Hafen zur Piazza San Giorgio führen, entdecke ich liebevoll restaurierte Häuser, von denen über 80% älter als 300 Jahre sind. Das Dorf ist wie eine Zeitkapsel, in der die Architektur der Vergangenheit perfekt erhalten blieb.

Architekturliebhaber, die bereits Ålesunds Jugendstil-Architektur entdeckt haben, werden auch in Varennas historischen Gebäuden eine Offenbarung finden. Besonders beeindruckend ist die Kirche San Giorgio mit ihrem Boden aus seltenem schwarzem Marmor – ein lokales Gestein, das sonst kaum verwendet wird.

„Man kommt als Tourist und geht als Freund. In Bellagio sieht man Italien, in Varenna spürt man es – besonders beim Abendspaziergang, wenn die Sonne den See in flüssiges Gold verwandelt.“

Das Herzstück des Dorfes ist die Passeggiata degli Innamorati (Spaziergang der Verliebten) – ein Holzsteg, der sich direkt am Wasser entlangschlängelt. Morgens vor 8 Uhr ist dieser Weg noch menschenleer und bietet spektakuläre Fotomotive mit den Rosenhecken, die den Pfad säumen.

Die verborgene Perle im „Goldenen Dreieck“ des Comer Sees

Das Phänomen kleiner Orte mit enormem Touristenaufkommen kennt man auch von Rothenburg ob der Tauber, doch Varenna bietet eine ganz andere Atmosphäre. Hier gibt es keine Souvenir-Shops an jeder Ecke, stattdessen authentische Familienrestaurants und Handwerksläden, die seit Generationen bestehen.

Die beiden Villen – Monastero und Cipressi – sind wahre Schatzkammern. Die Villa Monastero, ursprünglich ein Zisterzienserinnenkloster aus dem 12. Jahrhundert, beherbergt heute botanische Gärten mit seltenen Pflanzen. Die Kamelien blühen zwischen März und Mai und verwandeln die Anlage in ein Blütenmeer.

Ähnlich wie die Île de Ré in Frankreich hat auch Varenna es geschafft, trotz hoher Besucherzahlen seinen intimen Charakter zu bewahren. Ein Grund dafür ist, dass über 90% der Umgebung als Naturschutzgebiet ausgewiesen sind – ein grüner Schutzwall gegen übermäßige Entwicklung.

Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen

Im Gegensatz zu Orten wie Geiranger in Norwegen, wo Kreuzfahrtschiffe täglich tausende Besucher bringen, lässt sich Varenna am besten im Juni 2025 entdecken, wenn das Wetter perfekt ist, aber die Hochsaison noch nicht begonnen hat.

Der Mittwochsmarkt auf der Piazza San Giorgio ist ein lokales Geheimnis, wo Einheimische frischen Käse, Wein und Kunsthandwerk verkaufen. Kommen Sie früh – der beste Stand mit hausgemachter Mostarda di Frutta, einer pikanten Fruchtpaste, ist bereits gegen 10 Uhr ausverkauft.

Ein verborgenes Juwel ist die winzige Kirche San Giovanni Battista mit byzantinischen Fresken aus dem 11. Jahrhundert. Sie liegt versteckt in einer Seitengasse und wird selbst von aufmerksamen Besuchern oft übersehen.

Als ich meine letzte Nacht in Varenna verbringe, sitze ich mit einem Glas lokalem Wein am Ufer und beobachte, wie die Lichter von Bellagio in der Ferne funkeln. Meine Frau Sarah würde die Lichtspiegelungen auf dem See lieben – perfekte Fotomotive für ihr Portfolio. Unsere Tochter Emma wäre begeistert von den kleinen Fischerbooten, die sanft im Hafen schaukeln.

Varenna ist wie ein gut gehütetes Familiengeheimnis – nicht verschlossen, aber kostbar genug, um es behutsam zu teilen. Es ist ein Ort, der uns daran erinnert, dass wahre Schönheit nicht in Massen kommt, sondern in leisen Momenten, die wir in unseren Herzen bewahren.